Bicicletta da Corsa - Ventisette

pagina #19 Der Morgen startet gleich Mal mit einer heftigen Gravelpassage, die uns über alte Wanderwege führte. Was anfangs noch ganz lustig war, entwickelte sich immer mehr zu einemAlpinen Steig. Der Weg wurde immer schmaler und steiler, so dass wir unsere Räder des Öfteren schieben, über große Steine oder auch Steilpassagen nach unten tragen mussten. So vergingen die ersten 1,5 Stunden nicht gerade wie im Flug und zehrten bereits früh morgendlich an unseren Kräften. Doch das war erst der Anfang eines langen Tages, der uns viel Schweiß, Blut und Nerven abverlangte. An Radfahren war kaum mehr zu denken und so wurde „Radgeschoben“. Ab und zu kamen uns massive Allradgefährte entgegen oder Endurofahrer, die uns verdutzt ansahen oder bewundernd anfeuerten. Nach etlichen Stunden des Kampfes erreichten wir endlich den höchstgelegenen Punkt. Erst jetzt wurde uns richtig bewusst, wo wir waren. Kilometerweit war nichts außer Berge und Wald zu sehen, wunderschön und zugleich Angst einflößend, da noch viele weitere Kilometer vor uns lagen und sich unsere Kräfte allmählich dem Ende neigten. Viele, viele Höhenmeter mussten vernichtet werden und so kamen wir nur langsam voran. Auf der verblockten Straße war das abwärts fahren fast so schlimm wie aufwärts. Wir hatten riesigen Hunger, waren durstig und eigentlich total fertig. Und so verkrochen wir uns mit dem letzten Tageslicht in unserem Zelt, das wir ganz unromantisch neben der Straße auf der erstbesten kleinen Lichtung aufstellten. Die Nacht wird mir noch lange in Erinnerung bleiben, denn ich verbrachte sie fast ausschlich außerhalb des Zelts, auf dem Donnerbalken, der keiner war. Am nächsten Morgen hatte ich weder die Kraft, um aufzustehen, geschweige denn unser „Lager“ zusammen zu packen. So blieb alles an Simone hängen, sie hievte mich auf mein Rad und wir fuhren so in Richtung des nächsten Dorfes. Nach einer erholsamen Nacht in einem schönen Hotel mit Klimaanlage war ich fast wieder der Alte. Und so kam es, dass wir noch zwei Etappen vor uns hatten, bevor sich der Kreis, unsere Tour de Balkan, schließen würde. Vorbei an Tirana fuhren wir über den Tirana-Elbasan Highway, der den Bergen entlang folgt, in Richtung unseres Ausgangspunktes vor gut vier Wochen. Was für ein emotionaler Moment, als wir die vielen Serpentinen bergab rollten und sich vor uns langsam Elbasan aufbaute. Die Erleichterung war zu spüren nach den anstrengenden Tagen in den Bergen, die sehr an unserer Substanz geknabbert haben. Aber zugleich war es auch Wehmut und die Gewissheit, dass sich dieses unglaubliche Abenteuer langsam dem Ende zuneigte. Jetzt sitze ich hier seit ein paar Stunden und versuche das Nötigste unseres Abenteuers komprimiert und zugleich umfänglich auf Papier zu bringen. Ich könnte noch ewig schreiben, so viele Geschichten und Anekdoten haben leider keinen Platz mehr, obwohl sie es so wert wären. So viele Menschen haben uns auf der Reise geholfen. Wir durften ganze Familien kennenlernen. Viele haben uns zum Essen eingeladen, auf einen Kaffee oder einen Abend voller Geschichten und bester Gesellschaft. Sie halfen uns, wenn wir ein Problem hatten, reparierten unserer Räder, ohne dass wir uns verständigen konnten. Wir hatten eine unglaubliche Reise und durften tolle Menschen kennen lernen. In vieler Hinsicht wurden uns die Augen geöffnet und viele Vorurteile nicht nur widerlegt, sondern regelrecht vernichtet. Mit dem Rad zu reisen ist etwas ganz besonders, es bringt die Menschen zusammen, man spürt, riecht, fühlt Dinge, erlebt Situationen, die sich sonst so nie ergeben hätten. Egal wie weit, wohin oder wie lange - diese Art zu Reisen ist einzigartig, herausfordernd und entschleunigend zugleich. Jeder sollte es einmal ausprobiert haben, es lohnt sich definitiv. Wir sind froh, dieses Abenteuer gemacht zu haben. Ohne Vorkenntnisse, ohne viel zu wissen, was uns erwarten würde, sind wir gestartet und würden es jederzeit wieder machen. Quick Facts zu unserer Reise „Tour de Balkan“  Sieben Länder durchfahren (Albanien, Nord Mazedonien, Serbien, Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Kroatien)  6 verschiedene Währungen  40 Grad Temperaturunterschied  26 Tage auf dem Rad  1.600 zurückgelegte Kilometer und 24.000 Höhenmeter  Wildcampen war kein Problem  Budget 1.300€  10 Platten

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