Bicicletta da Corsa - Ventisette

pagina #17 Und wie so oft im Leben wird man vom Gegenteil überzeugt. Die kommenden zwei Tage waren eines unserer absoluten Highlights. Wir passierten eine Hochebene, auf der wir fast zwei Tage lang radelten. Einfach unerwartet, entschleunigend und malerisch schön. Unsere Blicke schweiften in die Ferne und so genossen wir jeden Kilometer dieses Abschnitts in vollen Zügen. Wir wollten wieder draußen schlafen, der Natur ganz nah sein und darum deckten wir uns in Tutin mit den entsprechenden Lebensmitteln ein, die für ein Abendessen und Frühstück reichen sollten. Die meiste Zeit ernährten wir uns von regionalem Gemüse, Feta und Brot. Zum Frühstück gab es fast immer ein Müsli mit Früchten und nach ein paar Stunden dann Frühstuck Nummer 2, das aus Espresso und Schokocroissant bestand – lecker. Für zwischendurch hatten wir immer ein oder zwei Tüten Haribo dabei, die nicht nur den Blutzucker, sondern vor allem auch die Stimmung in die Höhe schießen ließen. Die Nacht verbrachten wir wieder in unserem Zelt, auf einer einsamen Wiese, hoch oben auf einem Plateau gefühlt im nirgendwo. Bis auf zwei Bauern, die noch ihr Vieh zusammentrieben, sahen wir keine Menschenseele. Als würde die Sonne nur für uns untergehen, saßen wir vor unserem Zelt, genossen unser Abendessen und verspürten zum ersten Mal seit Aufbruch der Reise einen Hauch von absoluter Zufrieden- und Gelassenheit. Von Sjenica führte uns die nächste Etappe nach Bosnien und Herzegowina. Die Straßen waren in perfektem Zustand und wir bewegten uns meist auf einer Höhe zwischen 1.000 und 1.200 Metern, was den netten Nebeneffekt von kilometerweiter Fernsicht mit sich brachte. Über den Tag hinweg veränderte sich das Landschaftsbild stetig und die weiten flachen Ebenen wurden immer enger und bergiger. Die letzten Kilometer fuhren wir an einem Flussbett entlang, das eingebettet in Felsformationen stark an Italien erinnerte. In Višegrad, das zu Recht Weltkulturerbe ist, angekommen, entschlossen wir uns nach acht Tagen und vielen hunderten Kilometern in den Wadeln, einen Ruhetag einzulegen. Wir erkundeten die Stadt mit der markanten Brücke am darauffolgenden Tag und kamen mit den Einheimischen ins Gespräch. Wir erfuhren, dass sehr viele Einheimische in den 1990er Jahren vertrieben wurden oder geflüchtet sind, was dem Bürgerkrieg in Bosnien und Herzegowina geschuldet war. Bereits am Vortag änderte sich unsere Reiserichtung von Norden auf Süden. Und so kam es, dass wir weiter südlich Richtung Foča fuhren. Wie Višegrad war auch Foča ein Teil der Republik Srpska. Sie ist eine Entität von Bosnien und Herzegowina und wird fast ausschließlich von Serben bewohnt…ja ganz schön kompliziert, oder? Auch hier waren die Spuren des Krieges noch zu erkennen. Man musste aber schon ganz genau hinsehen, um die überputzen Einschusslöcher in den Wohnhäusern zu erkennen. Wir hatten bereits einen Großteil unserer Balkanrunde hinter uns gelassen und wussten, dass jetzt die richtig harten Brocken kommen würden, die vielen Höhenmeter. Wir hielten unseren Kurs bei und steuerten weiter südlich, nächster Stopp war der Durmitor Nationalpark. Nach einem langen Tag im Sattel erreichten wir den Eingang des Nationalparks, der sich auf einer Höhe von 1.500 Metern befand. Wir deckten uns im kleinen Dörfchen Plužine noch mit Lebensmittel für die kommenden zwei Tage ein, da wir nicht genau wussten, was uns erwarten würde. Allerdings hatten wir nicht damit gerechnet, dass wir an kein Wasser kommen würden. Bis zu diesem Zeitpunkt war Wasser überhaupt kein Problem. Entweder tranken wir aus den unzähligen Brunnen und Bächen oder wir fragten ein paar Einheimische, ob wir unseren Wasservorrat bei ihnen auffüllen durften. Doch auf der trockenen Hochebene war es weder um Brunnen noch um Einwohner gut bestellt. Glücklicherweise trafen wir auf einer Wiese einen Einheimischen, der eine Art Bar für die ansässigen Bauern und Hirten bewirtete. Der alte Holzverschlag sah nicht gerade einladend aus, jedoch hatte er einen kleinen Ofen drin und genugAlkohol, dass einem nicht so schnell kalt werden wurde. Bei Sonnenuntergang saßen wir eingepackt in Daunenjacke und Mütze neben der Holzbar und genossen unser wohlverdientes Abendessen. Die Stimmung an diesem Abend war ganz besonders friedlich und kurz bevor wir uns in unsere Schlafsäcke verkriechen wollten, saßen bereits ein paar einheimische Hirten und Landwirte neben uns und luden uns auf ein Bierchen ein. Und obwohl wir uns nicht verständigen konnten, wurde es noch ein richtig geselliger Abend. Die Nacht war kalt, sehr kalt sogar. Wir hatten so gut wie alles an, was wir dabei hatten - wer hätte damit gerechnet? Vor ein paar Tagen hatte es noch 40° Grad und jetzt waren es gefühlte Minusgrade. Ich war froh als es endlich Morgen wurde, und die Sonnenstrahlen die ersehnte Wärme brachten, um in einen neuen Tag zu starten. Wieder standen viele Höhenmeter auf dem Programm, wir waren gespannt was uns wohl erwarten würde. Wir wurden nicht enttäuscht: Den Durmitor Nationalpark zeichnen schroffe Felsformationen und spitze Berggipfel aus, ganz anders als der restliche Balkan. Auf unseren Rädern hatten wir die perfekte Reisegeschwindigkeit, um die umliegende Natur zu bewundern und die vielen Eindrücke wahrzunehmen. Das Wetter wurde leider im Laufe des Vormittages immer schlechter und so beschlossen wir, den Nationalpark schnell hinter uns zu lassen und weiter nach Nikšić zu fahren. Bereits bei der Abfahrt fing es zu nieseln an und wir waren froh über unsere Entscheidung. Kaum in Nikšić angekommen, begann es aus Kübeln zu schütten. Nach einem kurzen Check des Wetterberichts war klar, an ein Weiterfahren war heute und morgen nicht zu denken. So wurde der nächste Tag gezwungenermaßen ein weiterer Ruhetag. Nach fast drei Wochen auf dem Rad gönnten wir uns ein Appartement mit Fernseher und Couch. Oh, ich kann euch gar nicht sagen was das für ein Gefühl war, nach so langer Zeit endlich wieder Mal so richtig den Couch-Potatoe raushängen zu lassen! Wir verbrachten geschätzt den ganzen

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