Race Around Austria CHALLENGE 2020 560 km, 6.500 HM, 24 Stunden pagina #22 www.biciclettadacorsa.de “Das Race Around Austria ist ein Ultraradrennnen mit Abenteuercharakter, wobei 2.200 Kilometer und 30.000 Höhenmeter zurückzulegen sind”, so die Eigenbeschreibung. Die Race Around Austria Challenge als „kleine Variante“ hat es ebenso in sich: 560 Kilometer und ca. 6.500 Höhenmeter – in 24 Stunden. Wer tut sich das an? Nora und Martin zum Beispiel. Während Nora mit Begleitfahrzeug auf die Strecke geht, nimmt Martin sie ‘unsupported’ in Angriff ohne Begleitfahrzeug, ohne Betreuung und völlig auf sich alleine gestellt… Race Around Austria – warum tut man sich das an? Nora: Ich war bei der Zieleinfahrt 2019 zu Besuch und fasziniert von der Stimmung. Aber selbst teilnehmen? Nie im Leben! Ich fahre erst seit 2017 Rennrad und habe auch sonst überhaupt keinen sportlichen Background. Außerdem habe ich früher etwa eine Packung Zigaretten pro Tag geraucht. Also an und für sich denkbar schlechte Karten für eine solche Herausforderung. Ein paar Wochen später hat mir Anna Bachmann, die RAA Challenge Siegerin 2019 und RAA Gewinnerin 2018 die Faszination Ultra begreifbar gemacht. Ich war dann im Dezember bei der Leistungsdiagnostik grünes Licht! Die Entscheidung war für mich klar, mein Bier ab sofort alkoholfrei. Ein bisschen Komfortzone wollte ich mir aber erhalten, deshalb hab ich rund um meinen Partner ein Begleitteam gebaut. Martin: Ich war drei Jahre als Fotograf beim RAA dabei und konnte so schon früh nahe an den SportlerInnen dran sein und Langstreckenluft schnuppern. 2019 war ich schon angemeldet, hab das aber wieder abgeblasen, bevor mir beim Shooting für die neue ‚unsupported‘ Kategorie in der Sekunde klar war, dass das mein Ding ist. Als Radler, der oft alleine unterwegs ist, war es für mich überhaupt nicht abschreckend, kein unterstützendes Team und Begleitfahrzeug dabei zu haben. Mir war der Gedanke sympathisch, nur mir Rechenschaft schuldig zu sein. Wie hast Du Dir die Vorbereitung vorgestellt? Und wie ist es tatsächlich gelaufen? Nora: Meine Vorbereitung war einerseits viel Training nach Plan, andrerseits viel Organisation. Gerade letzteres habe ich unterschätzt, vielleicht hätte ich mehr delegieren sollen. Aber ich wollte mir zu 100% sicher sein, dass am Renntag alles so ist, wie ich es haben möchte. Ab Mai bin ich längere Grundlageneinheiten gefahren und war sehr optimistisch – bis Juni: Hey, ich fühle mich schon nach 180 km absolut mies, wie soll ich 560 km am Stück schaffen? Tatsächlich war mein längster Ride vor dem Rennen knapp 200 km lang. Martin: Ich bin unfähig Trainingspläne einzuhalten, daher wollte ich einfach möglichst viele Kilometer in die Beine bekommen. Ein 300er im Juni und mehrere längere Ausfahrten haben mir außerdem nochmal geholfen, mich an längere Zeiten im Sattel zu gewöhnen. Was ich in der Vorbereitung nicht untergebracht habe, was mir aber im Nachhinein betrachtet sehr geholfen hätte, waren Nachtfahrten. Ich gehe recht pragmatisch an Dinge heran, was manchmal in Unorganisiertheit kippt, weil ich Dinge zu leicht nehme. Ich wollte mich wohlfühlen und einige Dinge im Vorfeld ausprobieren. Durch meine Erfahrungen als Fotograf habe ich von anderen TeilnehmerInnen schon vieles mitnehmen können. Dazu kommt, dass die vergleichsweise "kurze" Challenge ja keine ausweglosen Situationen erwarten lässt, womanmitten in einer Wüste strandet, überfallen wird oder tagelang keiner Menschenseele begegnet. Wie hast Du Dich am Start und in den ersten Stunden gefühlt? Nora: Sehr nervös, aber auch froh, dass es endlich los geht und ich nichts mehr vorbereiten muss. Ich bin ziemlich schnell sehr weit nach hinten gefallen, weil ich nicht aus meinen Leistungszonen rausgehen wollte. Das war ein bisschen demotivierend, aber nicht weiter schlimm. Ich wollte das Rennen solide und auf Nummer sicher fahren. Alles in allem war die Stimmung aber gut und ich lag 10 Minuten hinter meinem Zeitplan was bei einer Rennlänge von geplanten 24h ja absolut in Ordnung ist. Martin: Bis zwei Stunden vor dem Start war ich noch mit der Kamera im Einsatz und mehr oder weniger bereit für die Aufgabe. Dann wollte ich aber nur noch endlich los, mich aufs Rad setzen und die Rampe hinunterrollen. Schon nach 500 Metern ist man plötzlich alleine, versucht einen Rhythmus zu finden und gleichzeitig seine Gedanken zu sortieren. Man findet sich irgendwie in einem sehr ruhigen Rennen wieder, ein paar Fans hier und da, man überholt andere TeilnehmerInnen und wird überholt, ab und zu nickt man einem der RAA Officials zu. Die ersten 100 Kilometer sind flach und flott, überrascht haben mich der 30er Schnitt ebenso wie die Hitze. Jeder Gedanke daran, dass diese Ausfahrt nicht nach vier Stunden vorbei sein würde, hat mich außerdem ermahnt, es konservativ anzugehen. Wie war die Nacht? Nora: Ich habe so viele Horror Geschichten vomMühlviertel gehört, dass ich natürlich gehörig Respekt hatte. Klar, es geht die ganze Zeit bergauf und bergab und es gibt viele Überholvorgänge. Das ist alles anstrengend und zehrt an den Nerven, ich fand es aber ganz abwechslungsreich denn ansonsten ist durch die Nacht fahren eher langweilig. Meine größte Sorge, dass mir ein Reh oder ein anderes Wildtier vors Rad oder in mich reinläuft, hat sich übrigens nicht bewahrheitet. Aber im Vorfeld hatte ich davon wirklich Alpträume. Martin: Bei Sonnenuntergang nach ca. fünf Stunden ist der Schnitt gut, aber die flachen Passagen zu Ende. Ich kenne das Mühlviertel und seine giftigen Anstiege, es ist dunkel und mein Körper möchte jetzt schlafen. Mühsam mache ich ihm klar, dass weiter Leistung gefragt ist. Auch wenn „Leistung“ beim Blick auf meinen Computer nicht mehr das richtige Wort ist. Aus meinen Gedanken und Zweifeln während einer kurzen Pause an einer Bushaltestelle reißen mich die Anfeuerungsrufe wackerer Mühlviertler vor ihren Häusern. Ich bin dankbar, das Störfeuer in meinem Kopf ausblenden zu können. Bis KM 200 in Rohrbach werden sich diese Anfeuerungen zu Menschenansammlungen und Fanzonen – stehenbleiben, ausruhen, aufgeben – undenkbar. Doch nach KM 200 wird es plötzlich ruhig sehr ruhig. Keine Fanzonen mehr, der vermeintliche Wendepunkt im Mühlviertel ist erreicht, gleichzeitig ist es mittlerweile mitten in der Nacht. Die kommenden Kilometer sind für mich persönlich die härtesten: Mein Körper will schlafen, nimmt keine Nahrung mehr auf, die Leistung sinkt knapp unter Grundlagentempo. Der Kopf funktioniert noch und will weitermachen, aber um 3 Uhr entscheide ich mich für eine halbstündige Schlafpause. Mir ist kalt, Zeit wieder aufs Rad zu kommen! Die Text: Nora Turner & Martin Granadia Fotos: Daniel Willinger & Race Around Austria
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