Früh am nächsten Morgen sitzen wir auf unseren Rädern. Endlich ist es soweit! Nach Monaten der Planung und Vorbereitung ist es das befreiendste Gefühl überhaupt, weit weg von zu Hause endlich in die Pedale zu treten. Bereits auf den ersten Metern wird uns allerdings bewusst: Das sind nicht mehr die federleichten Karbonrennräder, die wir von Zuhause gewohnt waren. Wir haben sie zwar nie abgewogen, aber mit Gepäck, Wasser und Essen waren es sicher 25 Kilogramm, die bewegt werden mussten. Unsere erste Etappe führt uns zum Ohridsee, eigentlich sind es zwei Seen, die sehr idyllisch im Süden Albaniens, an der Grenze zu Nordmazedonien und Griechenland, liegen. Hoch motiviert starten wir mit einer ordentlichen Pace, die bald ihren Tribut zollt. Dazu noch die Hitze, bei vierzig Grad und den staubigen Straßen kommen wir mit trinken kaum nach. Ganz nach dem Motto „Der größte Feind des Soldaten ist die Dehydrierung.“ Die Strapazen waren schnell vergessen als wir ankamen. Der See, der einer der ältesten der Welt ist, war einfach wunderbar in die umliegende Landschaft eingebettet. Bei einem kleinen verträumten Fischerdörfchen legen wir eine Pause ein, genießen die Ruhe und lassen unsere Blicke über den endlos scheinenden See schweifen. Der nächste Morgen begann wieder sehr früh, um so viele Kilometer wie möglich zu machen, bevor die Mittagshitze uns wieder zu Kopf steigen würde. Von Lin ging es Richtung Skopje, das fast 200 Kilometer entfernt ist. Nach einem kurzen, aber steilen Aufstieg passierten wir auch schon die Grenze nach Nordmazedonien. Der Grenzübertritt war kein Problem und ging schnell von statten. Es ging weiter Richtung Norden und nach einer willkommenen Abkühlung im Debarsee fuhren wir gegen Abend noch weiter ins Hinterland. Durch wunderschöne verwachsene Straßen radelten wir am nächsten Morgen Richtung Skopje. Die vielen Bäume spendeten uns Schatten, was die noch zu fahrenden 100 Kilometer gleich etwas freundlicher erscheinen ließen. Kurz vor Mittag machten wir dann unsere erste Bekanntschaft mit einer Landschildkröte, die sich auf eine Nebenstraße verirrt hatte. Was zu unserer Überraschung aber keine Seltenheit war hier im Balkan, wie wir später von Einheimischen erfuhren. Nach einem weiteren steilen Anstieg zum Mavrovosee ging es gestärkt nach einem Espresso und einer unglaublich süßen Baklava die 1.000 Hm bergab Vollgas Richtung Skopje. Wir ließen es so richtig krachen und schossen die Straßen hinunter als gäbe es kein Morgen mehr. Angekommen in Skopje waren wir überwältigt von der pompösen Altstadt und deren Bauten, hier mussten wir einfach einen Pause- bzw. Sightseeing-Tag einlegen. Es gab jede Menge zu sehen und so verbrachten wir den nächsten Tag mit der Erkundung der nordmazedonischen Hauptstadt, ihrer Küche und den vielen Sehenswürdigkeiten. Einigermaßen ausgeschlafen und gestärkt nahmen wir die nächste Tagespassage in Angriff. Über 1.500 Hm lagen vor unserem Tagesziel – Prizren im Kosovo. Am späteren Nachmittag kamen wir in Prevalac, einem hohen Gebirgspass, an. Spontan beschlossen wir den Abend hier zu bleiben. Wir schoben unsere Räder einen alten, steilen Schafsweg den Berg hinauf, um den perfekten Platz für die Nacht zu finden. Es stellte sich dann schnell heraus, dass es am Berg gar nicht so einfach war, ein paar Quadratmeter ebene Fläche für unser Zelt zu finden, wer hätte damit gerechnet? Und da war sie, unsere erste Nacht unter freiem Himmel. Die Sonne verabschiedete sich langsam am Horizont und als die Temperaturen sanken, verkrochen auch wir uns in unseren Schlafsäcken. Eine vorbeiziehende Schafsherde riss uns am nächsten Morgen etwas unsanft aus unseren Träumen. Nach einem ausführlichen Frühstück und dem Zusammenpacken unserer Habseligkeiten, preschten wir in bester Gravelmanier über die steilen Wiesen und Wanderwege auf die Hauptstraße zurück. Verdammt war das cool, dachten wir uns, so könnte jeder Morgen starten! Vielleicht ohne Schafe das nächste Mal. Gut eineinhalb Stunden und wiederum viele Downhillmeter später kamen wir vor Mittag in Prizren an, eine der wenigen Städte im Kosovo, die vom Krieg verschont geblieben ist. Mit prunkhaften Moscheen und einem großen Ortskern lädt sie zum Verweilen und Flanieren ein. Nach dem obligatorischen leckeren Espresso, den es zu unserer Überraschung im ganzen Balkan gibt, und einem gut gefüllten Schokoladencroissant entschieden wir uns für die Weiterfahrt am späten Nachmittag. Die Landschaft veränderte sich und wir ließen die besiedelten Gebiete hinter uns. Lange Schotterstraßen zogen sich über endlos scheinende Felder. Es dämmerte schon und mit den letzten Sonnenstrahlen fanden wir einen kleinen Bauernhof, der uns ein Zimmer zum Übernachten anbot. Früh am Morgen führte uns unsere Route nach Peja. Kaum zu glauben, aber die vielen Statuen von Soldaten und Helden des Krieges gaben der Stadt ihr eigenes Flair und ließen nicht vergessen, welche Dramen sich hier um 1999 abgespielt haben müssen. Mit Peja verließen wir am nächsten Tag die letzte größere Stadt im Kosovo, bevor es nach Montenegro ging. Der Kula Pass schlängelt sich hinauf bis zur Grenze. Entschädigt für die steilen Passagen hat uns ein grandioser Weitblick und eine lange Abfahrt nach Rožaje. In einem schmuddeligen Hinterhof schlagen wir unser Zelt auf und fiebern bereits dem nächsten Morgen entgegen. Es war bitterkalt in der Früh und wir kamen nur langsam in Bewegung, doch mit den ersten Sonnenstrahlen kamen auch unsere Kräfte zurück. Wir waren etwas nervös, denn es stand die Einreise nach Serbien an. Da der direkte Grenzübertritt vom Kosovo nach Serbien problematisch ist, haben wir uns entschieden über Montenegro einzureisen, was sich dann auch als goldrichtige Entscheidung herausstellte. Von Serbien hatten wir keine Vorstellungen bzw. auch keine großen Erwartungen. pagina #16 www.biciclettadacorsa.de
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