Bicicletta da Corsa - Ventisei
Verborgener Schatz IRAN pagina #22 www.biciclettadacorsa.de Zwei Wochen lang bereiste unser Autor den Iran, um das Land mit seinem Rennrad zu erkunden. Nach stei len Bergpässen, weitläu fi gen Wüstenpisten, und Ver folgungsjagden mit wilden Hunden, lernte er dabei die einzigar ti ge Schönheit Persiens kennen. Die meisten Menschen in der westlichen Welt verbin den mit dem Iran nichts Gutes. Und das hat einen ein fachen Grund: Über die letzten Jahrzehnte hinweg berichteten die Medien immer nur dann über das Land, wenn es um religiösen Fana ti smus, Unterdrü ckung oder das umstri tt ene Atom Programm ging. Doch der Iran hat mehr zu bieten als nur Nega ti v Schlagzeilen. Reisende erleben dort eine kaum zu be schreibende landscha ft liche Vielfäl ti gkeit und viele verborgene Schätze, unter denen die wertvollsten ohne Zweifel die freundlichen Menschen sind. Dass es zudem in der islamischen Republik über 150 Viertau sender gibt, deren Passstraßen bis zu den Gipfeln rei chen, lässt das Land auch für Radsport Enthusiasten immer interessanter werden. Insbesondere für Renn radfahrer. Denn die Iraner haben eine Vorliebe dafür, asphal ti erte Straßen auch bis zu den höchsten Gipfeln anzulegen. Frisches Obst und Bergetappen Nach einem zehnstündigen Flug mit Zwischenstopp in Istanbul, komme ich hundemüde am Imam Khomeini Airport an. Mein Gepäck habe ich bereits aufgenom men und ich schieße noch schnell ein Handy Foto von mir, vor dem Konterfei des berühmten Namensgebers des Flughafens. Plötzlich taucht ein uniformierter Si cherheitsmann vor mir auf: „Herr Javadi möchte einen Blick in ihren Radko ff er werfen.“ Keine Ahnung, wer dieser Herr Javadi ist, aber die Tatsache, dass ich im Ko ff er gleich zwei verschiedene GPS Empfänger dabei habe, lässt mich ziemlich nervös werden. Denn anders als in anderen Ländern, könnte man mir aufgrund des sen den Versuch zur Spionage vorwerfen. Mit mulmi gem Gefühl werde ich in das Büro des obersten O ffi ziers der Flugsicherheit eskor ti ert. Noch bevor ich mich überhaupt vorstellen kann, winkt Herr Javadi, der mit seinem Schandbart und den über dimensionalen Schulterklappen an seiner Uniform wie ein Bösewicht aus einem Leslie Nielson Film wirkt, ab fällig in meine Richtung. Er ist gerade mit etwas Bes serem beschä ft ig: Hinter einem pompösen Schreib ti sch sitzend, ist er über eine Schüssel mit Obst gebeugt und schält in aller Ruhe eine Orange. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, signalisiert er, dass er jetzt „isst“ – und ich einreisen darf, mitsamt meinem Gepäck. Essen, das werde ich in den nächsten Wochen noch lernen, steht im Iran über allem. Abgeholt werde ich von der Familie meiner Freundin, die mich herzlich mit Rosen begrüßen. Sie leben teil weise in Deutschland, teilweise im Iran und haben eine Wohnung in Teheran. Noch in der Nacht fahren wir mit ihrem Auto in die 13 Millionen Einwohner Metropole. Hier möchte ich mich zunächst ein paar Tage akklima ti sieren, damit ich für die bevorstehenden Bergetap pen ausgeruht bin. Schon an meinem ersten Tag meines Abenteuers merke ich: der Iran ist mit nichts vergleichbar – und Te heran schon gar nicht: versmogte Straßenzüge, über füllte, aber zuverlässige U Bahnen, große Parks, ruhige Natur und sogar weitläu fi ge Skigebiete im Norden der Stadt; die iranische Hauptstadt ist unglaublich facet tenreich. Besonders eindrucksvoll ist der Teheraner Basar, der als der größte der Welt gilt. Für Mi tt e März sind die Temperaturen in diesem Jahr noch rela ti v niedrig: 8 bis 12 Grad, wobei es in den Bergen immer noch schneit. Ich plane meine ersten Etappen um. Für den ersten Tag auf dem Rad geht es erstmal gen Süden. Mit Beglei tf ahrzeug Richtung Süden Begleitet werde ich auf meinem Radtrip von meiner Gas tf amilie. Mitsamt Oma und Onkel auf der Rückbank fahren sie mir in Schri tt geschwindigkeit hinterher, ma chen Fotos oder feuern mich an, wenn es mal wieder steil bergauf geht. Gas tf reundscha ft und Großzügigkeit sind den Iranern Ehrensache. Dabei sind sie sich auch nicht zu schade, hinter mir herzuzuckeln. Im Gegenteil: Nach Stunden des Sitzens im Auto steigt mein (poten ti eller) Schwager aus dem Auto, streckt sich von der strapaziösen Fahrt und strahlt mir ein „Today, is a won derful Day“ entgegen. Dabei bin doch ich es, der hier wohl den meisten Spaß hat. Mein erster Tag auf dem Rad: eine schnurgerade, leicht abfällige und gut asphal ti erte Teerstraße führt durch die phänomenale Landscha ft sskulisse in Richtung der Gipfel. Euphorisch schwinge ich mich auf mein Renn rad, ein superleichtes S Works Tarmac. Ich trete in die Pedale und bre tt ere die leere Straße entlang – Freu denschreie gegen den Fahrtwind ausstoßend. Doch nur wenig später ist es mit meinem Übereifer schon wieder vorbei. Weil die Rampen in Irans Bergen mit teilweise 20 Pro zent nicht gerade für deutsche Radler Waden gemacht sind und ich zudem die dünne Lu ft völlig unterschätzt habe, wird der Geschwindigkeitsrausch schnell zum Ausdauertest für Beinkra ft und Lungenvolumen. Denn selbst die Täler liegen meist auf über 1.500 Metern über demMeeresspiegel und man hält sich in den Ber gen permanent in einer Höhe von über 2.000 Metern auf. Dafür wird man mit unvergesslichen Landscha ft s erlebnissen belohnt, die so wohl einzigar ti g sind: Grüne Täler von ungeahnter Schönheit, monumentale Berge, orientalische Architektur, und in den Städten das geschä ft ige Gewusel auf den Basaren. Nach Stunden des Fahrens quäle ich mich mit letzten Kra ft reserven durch die dünne Lu ft , Kehre um Kehre, vorbei an schro ff en Sandsteinforma ti onen und impo santen Schluchten. Unterwegs begegnet mir kein Mensch. Außer ein paar schro tt reifen Zaymand LKWs, die mit lebensmüdem Tempo die Serpen ti nen hinab schießen, sehe ich niemanden. Denn Fahrradfahrer sind im Iran eine Seltenheit. Radsport ist im Iran nicht populär. Dies hat womöglich budgetäre Gründe. Denn das durchschni tt liche Mo natseinkommen beträgt meist unter 400 Euro. Hinzu kommen die vielen Wirtscha ft ssank ti onen, die einer seits mit eiserner Faust von den USA durchgesetzt wer den, aber auch von der EU so gewollt sind. Besonders die westliche Poli ti k des „maximalen Drucks“ auf das iranische Regime ist für eine hohe In fl a ti on verant wortlich. Diese beschert der Bevölkerung große fi nan zielle Schwierigkeiten. Inzwischen sind selbst auf den vielen Basaren, jene Lebens und Versorgungsadern des Landes, viele Waren des alltäglichen Bedarfs kaum mehr für Normalbürger erschwinglich. Die Iraner tra gen diese Krise mit einem gewissen persischen Prag ma ti smus: Chai trinken und dem Ho ff en auf bessere Zeiten. „Bedjomb!“, rufen mir meine Mitbegleiter aus dem fahrenden Auto zu und ges ti kulieren, dass es nun an der Zeit ist, etwas zu essen. Ich steige vom Rad und lasse mich von ihnen zur nächsten Einkehrmöglichkeit bringen. Es geht zu einer Gaststä tt e für Fernfahrer, die von außen eher einem Bre tt erverschlag gleicht als Text & Fotos: Max Marquardt
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