Bicicletta da Corsa - Ventisei

pagina #17 Vor einemTante-Emma Ladenmache ich halt. Fast hätte ich vergessen, meinenMund-Nase-Schutz hochzuziehen, so weit war ich schon vom Alltag entfernt. Hier holt mich Corona wieder ein. Ich decke mich mit Vorrat für das Abendessen ein. Eine längere Passstraße führt mich zu meinem Tagesziel. Oben angekommen, erwartet mich ein einladend aussehender Gasthof. Ich halte an. Auf der Terrasse sitzen zwei vollbärtige Stammtischler an zwei voneinander getrennten Tischen. Sie genießen das letzte Sonnenlicht, das noch zwischen den Berggipfeln durchblitzt. Ein Bier, das wärs jetzt. An der Eingangstüre hängt ein großes weißes Schild: Wegen Corona vorübergehend geschlossen. Ich grüße die beiden bayrischen Originale und frage sie nach einem Platz wo ich mein Nachtlager aufstellen kann. Überall und nirgendwo murmelt der eine in seinen Bart. Der an- dere schaut mich etwas mitleidig schmunzelnd an. Als ob er meine Gedanken lesen konnte, holt er aus seinem Rucksack ein Bier raus und überreicht es mir. Dankend nehme ich es, auch nicht desinfiziert, an. Kurz danach finde ich einen schönen Platz für mein Nachtlager. Ein eiskaltes Bier, ein Zeltplatz vor traumhafter Bergkulisse, der aufgehende Vollmond und brodelndes Nudelwasser auf dem Kocher, für mich gibt es nichts Schöneres in diesem Moment. Die ersten Sonnenstrahlen verwandeln den Raureif an den Zeltwänden zu Wassertropfen. Nach der eiskalten Nacht genieße ich die wärmende Morgensonne. Noch ein Espresso und dann schnüre ich meine Packtaschen wieder auf das Bike. Als ich die Passstraße hinunter rolle, über- kommt mich wieder dieses Gefühl. Ich könnte laut schreien vor Glück. Die ganzen Sorgen, Ängste und Belastungen der letzten Wochen verfliegen im Fahrtwind. Gegen Mittag treffe ich auf den Asphaltpass. Normalerweise ist das hier um diese Uhr- und Tageszeit eine Motorradhochburg, aber nicht heute. Ausfahrten sind in Zeiten der Ausgangsbeschränkung verboten. An einer kleinen Aussichtsstelle halte ich an, und schiebe einen Müsliriegel nach. Zwei Motorradfahrer haben sich trotzdem rausgetraut und werden mit Einsamkeit und leeren Straßen belohnt, so wie ich auch. Mittlerweile sindmein Bike und ich sehr vertraut und ich rausche immer mutiger durch die Kehren, genieße Fahrtwind und Geschwindigkeit. Die Zeit rast dahin, und so auch die Kilometer. Viel zu schnell. Auch die letzte Nacht inmeinemkuscheligen Zelt verfliegt. Amnächsten Tag begrüßt mich bereits das Berchtesgadener Land. Es wird wieder rauer und felsiger und in der Ferne strotzen se- riöse schneebedeckte Gipfel. Es ist Frühjahr, die Blumen blühen in allen Farben, das Gras ist bereits saftig grün, wie immer. Auch wenn dieses Frühjahr doch alles anders ist. Und der Pass, auf dem ichmich befinde, ist der letzte Pass, über den ich noch drüber muss, bevor michmein Ziel erreiche. Ich erinnere mich, dass bei meiner Routenplanung hier ein kleines rundes Zeichen steht. Es ist braun und heißt Schiebestrecke.

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