Bicicletta da Corsa - Diciannove
pagina #24 www.biciclettadacorsa.de Pünktlich um 8.18 Uhr, an einem strahlenden, nahezu windstillen Sonntagmorgen in Kapstadt steht die internationale Gruppe 4F an der Startlinie der Cape Town Cycle Tour 2018 und wartet darauf, dass sie ihr eigenes Rennen begin- nen kann. 323 Fahrer und Fahrerinnen. Die meisten werden mit dem Aus- gang nichts zu tun haben. Das sieht man ihnen auf den ersten Blick an. Sie sind zu schwer. Haben viel zu dicke Waden. Ihre mangelnde Ernsthaftigkeit stellen sie mit unrasierten Beinen, viel zu warmer Kleidung, ungeputz- ten Rädern und Selfie-Manie bis kurz vor dem Countdown zur Schau. Das können keine echten Rennfahrer sein. Anders zwei Deutsche im Trikot der Hamburger Radmarke Stevens. Sie scheinen ebenfalls eine gute Form mit nach Afrika gebracht zu haben. Auch ein gewisser Stephan und ein Typ namens Toine blicken auffallend konzentriert auf die vor ihnen liegenden 109 Kilometer an der Südspitze Afrikas. Ein Deutscher und, vermutlich, ein Holländer. Könnten gefährlich werden, die Beiden. Doch nun zu mir. Auch ich habe, wie alle anderen, die mit mir hier in der ersten Reihe warten, vom wahren, vom richtigen Radsport keine Ahnung. Dafür habe ich viel zu spät mit ihm begonnen. Und trotzdem betreibe ich diesen herrlichen Sport mit dem nötigen Ernst der Klasse M 50-54, die sich verzweifelt gegen das Altern wehrt. Mein Rad ist eine freundliche Leihgabe. Daniel Savine, ein guter Freund und eine schwäbisch-englische Mechaniker-Legende bei Merida in Magstadt, stellte den Kontakt zu Robbie Luis her. Robbie und seine Kollegen von der Firma CDD (Cytek Cycle Distributer) versorgen im Auftrag von Merida den südafrikanischen Markt mit Bikes. Robbie war so nett, wenige Tage vor meiner Ankunft am Kap in einem Ziegelwerk nahe Stellenbosch, extra für mich, ein metallic-grünes Scultura 6000, M/L, aus dem Karton zu holen. Gut. Kurbel (50-34) und Kassette (11-28) sind ein Witz – ich will ja nicht das Stilfser Joch, sondern nur den Chapman’s Peak erstürmen. Doch wer würde sich in Anbetracht solcher südafrikanischer Großzügigkeit über derlei Nebensächlich- keiten beschweren wollen. Zumal alles andere an dem feinen Carbonrad passt, wie die Faust auf ’s Cape Argusauge. Die aktuelle Ultegra-Gruppe verströmt ebenso zuverlässigen Jedermann-Charme, wie die relativ Schlagloch resistenten Fulcrum-Laufräder der Sorte Racing Expert, die mit dämpfenden 25 mm Grand-Sport- Race-Faltreifen von Conti bereift wurden. Mit den Pedalen und den beiden Flaschenhaltern, die Robbies Mitarbeiter Evert Du Plessis und Cliff Beckett aus dem Office zaubern, kommt das Rad auf runde 8 Kilo. Damit ist es wahrlich kein Leichtgewicht, aber dafür erstaunlich agil und in den kurvigen Abfahrten ein Gefährte, auf den man sich auch bei hohem Tempo verlassen kann. Zurück zum Rennen. Es ist immer das gleiche Spiel. Von Anfang an fahren alle am Anschlag. Auch in Südafrika, bei diesemWettkampf, der sich so freundlich gibt und das im Grunde genommen auch ist. Wie erwartet, bestimmen die beiden Stevens-Jungs die Pace. Noch zwei, drei andere Helden der ersten Starreihe drücken mächtig auf ’s Tempo. Dranbleiben. Mithalten. Mit 40 Sachen und mehr geht es durch das breite Spalier jubelnder Zuschauer vom Rathaus aus in südliche Richtung zur M3 nach Muizenberg. Ein paar lächerliche, innerstädti- sche Rampen reichen aus, um den Puls auf 160 zu jagen. Die Herzen rasen. Ihre menschlichen Hüllen auch. Schon nach wenigen Minuten schluckt unsere Spitze die ersten der nur wenige Minuten vor uns gestarteten 4G-Fahrer. Wir müssen an einer Steigung bremsen, um sie nicht über den Haufen zu fahren. Gott sei Dank. Irgendwie gelingt es allen, unbeschadet an diesen Genussfahrern vorbeizukommen. Dann brettern wir über eine Auffahrt in Richtung Autobahn. Man glaubt es nicht, es ist aber tatsächlich so. Für das Cape Argus werden sogar Autobahnen gesperrt. Das müsste sich mal einer bei uns, im Land der Autofahrer trauen. » 323 Fahrer Cape Town Cycle Tour 2018 109 Kilometer Foto: Sam Clark
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