Bicicletta da Corsa - Ventisette

„Jahrelang habe ich versucht, meine Mitmenschen zu sensibilisieren: ‚Schauts, die Murmeltiere brauchen ihre Ruhe auch am Campolongo Pass, lassen wir doch keine Motorräder mehr vorbei, das stört das Wild und die Natur.‘ Bewirkt hat das nichts. Das hat mich an den Punkt gebracht, dass die meisten Menschen einzig und alleinmit Geld zu sensibilisieren sind“, erzählt Michil Costa im Interview. „Als ich dann gefragt wurde, ob ich Präsident der Maratona dles Dolomites werdenmöchte, habe ich das als Chance begriffen, den Gastwirten zu zeigen, dass eine Sperrung der Dolomiten für den Auto- und Motorradverkehr auch ökonomisch funktioniert.“ Und hier wären wir nun beimHervorragenden, Außergewöhnlichen, das Michil Costa zumHelden des Radsportsmacht: Seiner Initiative und Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass die Straßen der Dolomiten zumindest ein paar Tage im Jahr für den motorisierten Verkehr gesperrt sind. Der bekennende Naturliebhaber hat eine ebenso klare Meinung zumAnreiseverkehr: „Es ist schrecklich, dass zur Maratona die Teilnehmer allesamt in ihren Privatfahrzeugen anreisen, das lässt sich mit unserem Grundgedanken nicht vereinbaren. Wenn wir Autobahnen hätten durch Alta Badia und die Dolomiten, und wenn wir mehr Betten hätten, dann hätten wir vielleicht auch 30.000 Teilnehmer. Da wir aber nur 15.000 Betten haben, sind 8.500 Radfahrer da – und diese 15.000 Betten müssen gefüllt werden. Ich bin ein Träumer, aber auch pragmatisch: Es stehen zu viele Hotels da, es stehen zu viele Betten da, und diese Betten sollen dann wenigstens mit Radfahrern gefüllt werden.“ Ohne Umschweife nimmt er die Politik in die Pflicht, trägt seine Vorstellung eines umweltverträglichen Tourismus für die Dolomiten vor: Eine große Tiefgarage in Bruneck und dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Alta Badia: „In St. Moritz funktioniert das schon seit Jahrzehnten, warum also nicht bei uns? Es braucht einfach Visionen! Das Geld für solche Projekte bekommt man dann immer zusammen.“ Die Maratona dles Dolomites verfolgt aber noch ein weiteres Ziel: Sie soll den Menschen Freude bereiten. Und diese Aufgabe ist die zweite, die Michil Costa in Fleisch und Blut übergegangen ist. Seine Eltern Annie und Ernesto eröffnen 1956 das Hotel La Perla in Corvara, das mittlerweile von den Brüdern Michil, Mathias und Maximilian geführt wird. Allein beim Surfen auf der Website bekommt man einen Eindruck davon, dass die Costas in ihrem Betrieb manche Dinge anders machen wollen – kein großer „Buchen“ Button, dafür „jeden Tag eine neue Geschichte“. Michil Costa erklärt, warum das so ist: „Ich glaube es ist ganz einfach, und ich wundere mich, warum es nicht mehr Hotels so machen: Tourismus ist ein Geschäft, aber der Gast ist keine Brieftasche. Und er will auch nicht als Brieftasche behandelt werden.“ Es geht um einen wertschätzenden Umgang den Menschen, aber auch der Umwelt gegenüber: „Glück hat auchmit dem Ambiente zu tun, in demman sich gerade befindet und in dem man leben darf. Und ich lebe in einem wunderschönen Gebiet, darf einen wunderschönen Beruf ausüben, in dem ich die Menschen in der wichtigsten Zeit ihres Jahres – ihrem Urlaub – begleiten darf.“ Dabei legt er, der oftmals aneckt mit seinen Ideen – sowohl bei Politik als auch manchmal in der eigenen Familie - größten Wert auf Authentizität: „Tourismus ist ja nicht authentisch, Tourismus ist ein Produkt, das so geschaffen wurde – zumindest in den letzten 30 Jahren. Deshalb versuche ich, die Authentizität so gut es geht zu erhalten: Mein Enthusiasmus ist Rockmusik, und deshalb läuft auch bei uns im Haus Rockmusik, weil ich sie einfach liebe. Wenn ich einen Hauch Authentizität haben möchte als Mensch und als Gastwirt, dann muss ich meine Linie gehen. Der Gast, der das akzeptiert, wird Freude damit haben. Und der, der das nicht akzeptiert, der muss sich ein anderes Hotel aussuchen. Es gibt genügend wunderschöne Hotels in Südtirol und in Alta Badia. Bei uns ist es halt so.“ Dabei sieht er keinenWiderspruch darin, sowohl Rebell als auch Bewahrer zu sein: „Man kann ein Revoluzzer sein und trotzdem mit delikaten Sachen sanft umgehen. Frank Zappa zum Beispiel war eines der größten Genies des 20. Jahrhunderts. Er war in seiner Arbeit sehr genau, sehr penibel aber trotzdem extrem revolutionär im Kopf.“ So zuhause er heute im La Perla und in den Dolomiten ist, so stark zog es ihn in seiner Jugend in die weite Welt hinaus: „Ich hatte eine wilde Jugend, ich wollte nicht in Corvara leben, ich wollte nach London oder New York. Ich wollte Punker werden, ich wollte Mick Jagger kennenlernen. Mein Vorbild waren die Sex Pistols!“ Irgendwann realisierte er, dass sein Leben ein schnelles Ende finden könnte, wenn er so weitermachte. „Ich bin radikal umgepolt, habe danach alles an Extremsport betrieben, was ging. Die schwierigsten Wände der Dolomiten bin ich geklettert, 650 Sprünge aus 4.000 Metern mit dem Fallschirm bin ich gesprungen, und bis zu 100 Meter tief getaucht imMeer. Und dann hab ichmir gedacht, man kann vieles erreichen im Leben, wenn man dazu bereit ist, immer wieder die Meinung zu ändern und wenn man sich nicht einfach immer in ein genaues Schema einordnen lässt.“ Und das kann ohne Übertreibung von Michil Costa gesagt werden: In ein Schema F lässt er sich nicht einpassen: Erfolgreicher Hotelier und Gastgeber mit absoluter Leidenschaft für den Beruf, Präsident des Maratona dles Dolomites, streitbarer Naturliebhaber und Visionär, Wohltäter. „Es geht nicht darum, die Menschen zu belehren! Ich bin ein sehr glücklicher Mensch, mir ist aber bewusst, dass es einfach Glück war, hier geboren worden zu sein. Und es geht mir einfach besser, wenn ich etwas Gutes tun darf, wenn ich etwas von meinemGlück zurückgeben kann. Das relativiert auch viele alltägliche Probleme. Deshalb habenmeine Familie und ich die Costa Family Foundation gegründet, die unterschiedliche Projekte in Afrika, Afghanistan, Indien oder Nepal fördert.“ ImGespräch bekommt man den Eindruck, dass dieses Füllhorn an Aufgaben nicht Beruf, sondern Berufung für ihn ist: „Viele sagen, dass ich mir meine philosophische Herangehensweise ja einfach leisten kann. Ich sehe das aber genau umgekehrt: Man muss zuerst philosophisch sein und die richtigen Fragen stellen, dann läuft es auch im Geschäft.“ Und trotzdem - selbst für Michil Costa gibt es ein Leben „nach der Arbeit“: „Wenn ich aus dem Hotel raus bin, dann gibt es die Arbeit für mich nicht mehr. Dann gibt es nur mehr die Berge, meine Frau, die Liebe, und die wunderschönen Blumen, die ich gestern gesehen habe. Es ist traumhaft hier, wie kann man da nicht glücklich sein?“ Vielleicht ist Michil Costa kein Held im klassischen Sinn – ein Mensch, der gesellschaftlich Bedeutendes zu leisten versucht, allemal. pagina #21 www.biciclettadacorsa.de „Vielleicht liebe ich die Natur zu sehr“ M I C H I L C O S T A

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