Bicicletta da Corsa - Numero Diciotto

pagina #33 www.biciclettadacorsa.de Thema “Training für die Paralympics” das Trai- nings- und Privatleben vier Jahre lang komplett. Kontakt mit anderen Sportlern ist da – wenn überhaupt – meist sporadisch. Denise muss heute noch selbst darüber lachen, wie sie Martin mit ihrem Nach-Olympia-Projekt Tour TransAlp mitten in der Olympia-Vorbereitung regelrecht überfahren hatte. Aber so ist sie halt! Martin kommt am zweiten Tag des Endura-Team- rider-get-together in Kitzbühel dazu – als Denise gerade von ihrem kleinen Ausflug hinauf auf die Großglockner-Hochalpenstraße zurückkommt. Er ist superfreundlich, aber reservierter als seine Teampartnerin. Sie: unzähmbar. Er: diploma- tisch. Zusammen sind die beiden ein tolles Team. Martin ist physisch natürlich stärker, aber Denise wirft die immense Erfahrung einer Weltklasse- Athletin in die Waagschale. Die beiden verbindet ein unsichtbares, psychologisches Band, das ihr großer Vorteil sein kann, wenn das Monster Tour TransAlp seine hässlichen Zähne zeigt. Auch wenn die Umstände ihres Unfalls als klei- nes Mädchen unvorstellbar brutal erscheinen – ihr langer und beschwerlicher Weg zurück ins Leben (und in die Normalität) war kaum einfa- cher. Ein solch existentiell das Leben verändern- der Unfall in so jungem Alter ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits vergisst man das Erlebte als Kind sehr schnell wieder. Die psy- chischen Wunden verheilen. Die physischen nicht. Wachstum und Entwicklung bedeuten einen schier endlosen Weg der Genesung. Bis zu ihrem 14. Lebensjahr musste Denise mindestens einmal pro Jahr unters Messer. Wenn andere Kin- der in den Ferien mit den Eltern in den Süden flo- gen, tauschte Denise die Schulbank mit dem Krankenhausbett. “Bis ich 18 war, liebte ich den Sport nicht. Ich mochte ihn nicht mal besonders. Ich wurde immer als letzte in eine Mannschaft gewählt. Das Gefühl, das sich in dir festsetzt: Du bist die letzte. Bevor ich mein erstes Rennradren- nen bestritt, dachte ich: “Okay, diesmal wirst du nicht Letzte! Und dann wurde ich in meiner Ka- tegorie: Erste! Das änderte die Spielregeln von Grund auf. Ich hatte etwas gefunden, was ich liebte.” Dass Denise Schindler es zu einer Weltklasseath- letin gebracht hat, zeugt von ihrer unfassbaren Anstrengungsbereitschaft. Die Paralympics 2012 in London rückten erstmals Sportler mit Behin- derung – und damit auch Denise – in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Die 31-Jährige ist eine glü- hende Verfechterin der Richtung, die London 2012 vorgab. Die Spiele 2012 als Brandbeschleu- niger für die Flamme “Paralympische Bewe- gung”. Sie erinnert sich wie heute an die riesigen Plakate und Banner, von denen Englands Haupt- stadt im August und September 2012 überzogen waren. Eine Kampagne, die die Paralympics end- gültig auf Augenhöhe mit den Olympics bringen sollte. Channel 4, der Heimatsender der Londo- ner Paralympics, trug das seine zur Emanzipation der Paralympics von den Olympics dazu bei, indem er die Insel mit fetten Werbeplakaten zu- kleisterte, auf denen stand: “Danke für den Warm-up!” “Peking war das Vorspiel, aber London war der Höhepunkt – ab da erhielt die Paralympische Be- wegung endlich die weltweite Anerkennung, die ihr auch zusteht. Ich erinnere mich wie heute an mein Zeitfahren im Velodrom, eines der besten Rennen meines Lebens. Tausende Menschen, die jeden einzelnen anfeuerten. Die Menge schrie uns förmlich ins Ziel. Das war der Moment, der alles änderte.” Ihre außergewöhnlichen Leistungen definieren sie – verbiegen ihren Charakter aber nicht. De- nise trägt ihre Erfolge (im wahrsten Wortsinne) so “leichtfüßig” wie ihre Hightech-Prothese. Das Thema Körperbehinderung blitzt nur im Inter- view kurz auf, ansonsten spielt es überhaupt keine Rolle. Sie ist einfach nur eine Endura-Ath- letin wie alle anderen, die sich an diesem Som- mertag in Kitzbühel treffen. Nach einem Tag mit Denise Schindler überstrahlt für mich eine Charaktereigenschaft den Rest wie die Sonne den Mond: ihre Menschlichkeit. Sie sprüht förmlich von dem natürlichen Drang, an- deren zu helfen. In ihren Vorträgen geht es immer weniger um ihre eigene sportliche Kar- riere, sondern immer mehr um die Botschaft, an- dere auf ihrem Weg mitzunehmen und sie zu einem glücklicheren Leben zu führen. Ob mit Sport oder einer x-beliebigen Leidenschaft ist letztlich egal. Wenn sie in einem ihrer Zuhörer eine Flamme entzünden kann, zählt das für sie mehr als eine Medaille.

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